19.11.2017 - 08.04.2018
Gottfried Helnwein Das Kind
Helnweins künstlerische Interventionen sind von einer schmerzhaften Unmittelbarkeit, deren emotionale Energie sich ästhetisch verdichtet.
Barlach Kunstmuseum Wedel
Der 1948 in Wien als Sohn eines Beamten geborene Gottfried Helnwein zählt zu den weltweit bekanntesten, aber auch umstrittensten österreichischen Künstlern der Gegenwart. Seine Ausstellungen erzielen Besucherrekorde.
In seinem Werk setzt sich Gottfried Helnwein überwiegend mit den Themen Schmerz, Verletzung und Gewalt auseinander. Diese betreffen Körper und Psyche in gleichem Maße. Seine künstlerischen Interventionen sind von einer schmerzhaften Unmittelbarkeit, deren emotionale Energie sich direkt auf den Betrachter überträgt.
Mit dem Bild vom „malträtierten Kind“ (Gorsen) greift Helnwein frontal die uns lieb gewordenen kindertümelnden Bildvorstellungen an und spricht in diesem Zusammenhang von der durch Krieg, Verletzung, Misshandlung und Vernachlässigung weltweit zunehmenden Traumatisierung von Kindern.
Von den ersten Höhlenzeichnungen über die christlichen Märtyrerbilder bis zur modernen Kriegsfotografie zeigt sich die abendländische Kunstgeschichte als eine Bildkultur der Gewalt. Und so setzt sich das Gewalt- und Opferthema im 20. Jahrhundert von Beckmanns frühen Arbeiten über Fancis Bacon bis zum heutigen Tag fort. Mit Bruce Naumann, Jeff Wall und Gottfried Helnwein wandeln sich zwar die künstlerischen Mittel, nicht aber das Thema selbst. Helnwein ist einer der kompromisslosesten Künstler der Gegenwart. Bei ihm wechselt das Triviale von Comic, Mangazeichnung und Disneykultur ab mit den Untergangsvisionen der Seele, kontrastiert die Göttlichkeit des Kindes mit den Horrorbildern von Missbrauch und Verwundung.
Vielfach sind die sanften Kindergesichter durch Verletzungen furchtbar entstellt. Blut, Narben, Wundmale, Bandagen. Der Anblick ist manchmal kaum auszuhalten. Aber was bedeutet das schon gegen die täglich von vielen Millionen von Kindern erlittenen Schmerzen, Qualen und Folterungen?
Gottfried Helnwein denunziert nicht die Kinder - das häufigste Missverständnis, mit dem man sich gegen seine Kunst wehrt - sondern er greift unsere Neigung an, vor dem Leiden der Anderen die Augen zu verschließen. Helnwein hat das Kinderleid aus dem Persönlichen ins Universelle gehoben und entlarvt damit unsere Blindheit, unsere Abgestumpftheit, unsere Sucht nach heiler Welt und unsere Angst vor der Realität als zutiefst unmoralisch.
Von der Heftigkeit der plötzlichen Bilderscheinung getroffen und verstört werden wir Zeugen, wie Dinge und Gestalten, die anscheinend nichts miteinander zu tun haben, dennoch in seinen Bildern zusammenhängen. Im Moment des Erschreckens vor der plakativen Wahrheit erkennen wir, was das Ganze zusammenhält: die Gewalt und das Böse. Das Böse hält paradoxerweise die Menschheit in dem Maße gefangen, in dem es die einzelnen Menschen voneinander trennt und bedroht. Es ist diese Dialektik, die Helnwein in seiner Kunst zu einer Ästhetik des Schmerzes verdichtet. Dies aber macht seine Relevanz für den heutigen Betrachter, das macht seine kunsthistorische Bedeutung aus.
"Die Menschen sind empört, beleidigt, peinlich berührt, verunsichert, verwirrt, und fühlen sich bedroht durch ein Stück Leinwand mit ein paar Milligramm Farbe darauf. Sie wissen sogar, dass das, was sie auf meinen Bilder sehen nur Fiktion ist. Und trotzdem: Im Fernsehen können sie Kriege, Morde, Folter und Tote ansehen, ohne ein Problem damit zu haben. Von einem Stück Leinwand hingegen werden sie aus der Bahn geworfen." (Helnwein)