14.05 - 27.08.2017
Ernst Barlach – Käthe Kollwitz: Über die Grenzen der Existenz
Wie Martin Luther in seinen Schriften und Reden, haben auch Ernst Barlach und Käthe Kollwitz die existenziellen Fragen ihrer Zeit aufgegriffen.
Schloss Wittenberg, Stadtkirche St. Marien und Schlosskirche Wittenberg
Wie Martin Luther 400 Jahre zuvor in seinen Schriften und Reden, haben auch Ernst Barlach (1870-1938) und Käthe Kollwitz (1867-1945) die existenziellen Fragen ihrer Zeit aufgegriffen und sich mit ihrer Kunst gegen einen falschen Wachstums- und Fortschrittsbegriff gewandt. Aus Tagebüchern und Briefen beider Künstler wissen wir, dass der Einfluss des Reformators dabei eine nicht unbedeutende Rolle gespielt hat.
Durch die Industrielle Revolution ändern sich im 19. Jahrhundert die wirtschaftlichen, politischen und sozialen Zustände radikal. Die technischen und wissenschaftlichen Erfindungen und die daran geknüpften Umgestaltungsprozesse führen Europa in ein neues Zeitalter. Die Welt schien aus den Fugen zu geraten. Überall machten Künstler und Schriftsteller den Versuch, das Ungeheuerliche in Worte und Bilder zu fassen und dem Menschen eine neue Heimat in dieser Zeit zu geben. „Gott ist tot“ hatte Nietzsche schon 1882 proklamiert und es fiel ein Weltbild in sich zusammen, das Jahrhunderte Orientierung geboten hatte. Jetzt mussten neue Werte und Ziele definiert werden, die weder für Ernst Barlach noch für Käthe Kollwitz in den blinden Fortschrittsattributen „größer, schneller, besser und mehr“ zu finden waren. Im Gegenteil; schon früh konzipierten beide ihre künstlerische Arbeit im Widerspruch zu einer als kalt empfundenen, vom Rationalismus geprägten Wirklichkeit.
Der „neue Mensch“, die „neue Welt“, die „neue Zeit“ waren Leitmotive, die in Literatur und Kunst den Übergang vom 19. zum 20. Jahrhundert und insbesondere die Generation der Expressionisten in Deutschland begleiteten. Beide, Ernst Barlach wie auch Käthe Kollwitz, sind Einzelgänger in ihrem künstlerischen Umfeld. Käthe Kollwitz hat schon sehr früh ihre Kunst in den Dienst einer konkreten gesellschaftlichen Verantwortung gestellt und hat eine Fülle von sozialrevolutionären Werken geschaffen. Selbst in Auseinandersetzung mit einem transzendenten Thema wie dem Tod, sind ihre Arbeiten nah am Menschen, spiegeln die persönliche Auseinandersetzung mit dem Unfassbaren, die individuelle Auffassung von Abschied und Schmerz. Im Zentrum ihrer künstlerischen Arbeit steht das Proletariat, stehen jene Menschen, die im Schatten des Fortschritts in ärmsten Verhältnissen leben und täglich um ihre Existenz ringen. In realistischer und appellativer Bildsprache klagt sie eine Wirklichkeit an, die solche Ungerechtigkeiten zulässt.
Den Krieg zu mahnen und sich für den Frieden zu engagieren, blieb dabei sicherlich der größte Verdienst beider Künstler und sie repräsentieren heute eine unverzichtbare Stimme der deutschen Kultur des 20. Jahrhunderts. Ihre weltweite Rezeption lässt daran keinen Zweifel. Ihre Arbeiten sind ungebrochen deutlich den bis heute aktuellen Fragen nach den Existenzbedingungen der Menschen zugewandt und werden auf den Straßen der Welt verstanden. Denn, was Käthe Kollwitz und Ernst Barlach vor 100 Jahren zum Gegenstand ihrer künstlerischen Arbeit erklärten, hat an Aktualität nicht verloren.
Bei dem 500jährigen Reformationsjubiläum sollte man sich auch fragen, was Luther heute zu sagen hätte. Für Luther stand über allem das Gebot der Nächstenliebe und weil wir Menschen „dieses Gebot aus den Augen lassen und allein auf den Handel mit seinem Gewinn oder Verlust achten, brauchen wir so viele Bücher, Gesetze, Gerichte, Streit, Blutvergießen und den ganzen Jammer“, schrieb er. Barlach und Kollwitz haben Luthers Ethik in die Moderne getragen und verleihen ihr nachhaltig Gestalt.
Eine Ausstellung der Stiftung Christliche Kunst und der Ernst Barlach Gesellschaft Hamburg. In Kooperation mit ifa, Institut für Auslandsbeziehungen Stuttgart, Ernst Barlach Museum Ratzeburg, Ernst Barlach Museum Wedel und privaten Leihgebern.